„Du kannst alle Blumen abschneiden, aber du kannst nicht den Frühling davon abhalten zu erblühen“.
Pablo Neruda
162 Menschenrechtsorganisationen fordern das Ende der Repressionen gegen das Menschenrechtszentrum „Viasna“ und andere Menschenrechtsverteidiger in Belarus. Wir verurteilen die systematischen willkürlichen Verhaftungen, Verprügelungen und Folter, denen sie ausgesetzt sind. Trotz der umfassenden Unterdrückung durch die Behörden setzen belarussische Menschenrechtsverteidiger ihren Kampf für den Schutz der Menschenrechte fort. Von ihrem Mut inspiriert, werden wir auch in unserem Kampf für die Freilassung der Inhaftierten nicht nachlassen, bis sie frei sind und ihre Menschenrechtsarbeit frei und unbehindert fortsetzen können.
In den letzten Tagen gab es eine weitere Welle von Durchsuchungen und Verhaftungen von belarussischen Menschenrechtsaktivisten und -verteidigern. Dieses harte Vorgehen, das mit der gewaltsamen Unterdrückung friedlicher Demonstranten nach den Wahlen im August 2020 angefangen hat, ist eine klare Vergeltung für die Arbeit der Zivilgesellschaft, die Menschenrechtsverletzungen aufdeckt und dokumentiert. Seit August 2020 haben die Behörden mehr als 35.000 Belarussen wegen ihrer Teilnahme an friedlichen Protesten festgenommen und rund 3.000 politisch motivierte Strafverfahren eingeleitet. In diesem Zeitraum haben Menschenrechtsaktivisten mindestens 2.500 Fälle von Foltern dokumentiert. Am 19. Juli 2021 gab es in Belarus 561 politische Gefangene. Wir sind der Meinung, dass diese systematischen und massiven Menschenrechtsverletzungen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen können.
Zwischen dem 14. und 16. Juli 2021 wurden mehr als 60 Hausdurchsuchungen in den Privatwohnungen und Büros belarussischer Menschenrechtsorganisationen und ihrer Mitarbeiter durchgeführt, darunter das Menschenrechtszentrum „Viasna“ und zwei Mitgliedsorganisationen des Internationalen Komitees für die Ermittlung von Folter in Belarus – “Human Costanta” und “Rechtsinitiative” – sowie das Belarussische Helsinki-Komitee, der Belarussische Journalistenverband, das Zentrum für Rechtstransformation, Ecodom und viele andere. Bei den Durchsuchungen wurden Dokumente und technische Geräte, darunter Laptops, Telefone und Desktop-Computer, beschlagnahmt.
Mehr als 30 Personen wurden nach den Durchsuchungen verhört. Dreizehn Personen wurden 72 Stunden lang festgehalten, angeblich im Zusammenhang mit Straftaten wie ordnungswidrigen Verhalten und Steuerhinterziehung. Die meisten von ihnen wurden später freigelassen, darunter Nikolai Sharakh, Siarhei Matskevich und die Viasna-Mitglieder Andrei Poluda, Alena Laptsenak, Yevgenia Babaeva, Siarhei Sys, Viktar Sazonau, Ales Kaputski und Andrei Medvedev. Einige von ihnen sind jedoch als Verdächtige eingestuft und wurden unter Auflagen freigelassen. Ales Bialiatski, Vorsitzender von Viasna, Valiantsin Stefanovich, stellvertretender Vorsitzender von Viasna und Vizepräsident der FIDH, und Vladimir Labkovich, Rechtsanwalt und Mitglied von Viasna, stehen weiterhin unter Haft. Am 17. Juli 2021 wurden alle vier in das Untersuchungsgefängnis Nr. 1 in der Volodarskogo-Straße in Minsk gebracht. Vier Mitglieder von Viasna, Leonid Sudalenka, Tatsiana Lasitsa, Marfa Rabkova und Andrei Chapiuk, sowie Aleh Hrabliuski vom Büro für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, bleiben seit Ende 2020 – Anfang 2021 in Haft.
„Viasna, eine der wichtigsten belarussischen Menschenrechtsorganisationen und Mitglied des OMCT- und des FIDH-Netzwerks, ist seit mehr als zwei Jahrzehnten der Verfolgung durch die belarussische Regierung ausgesetzt. Im August 2011 wurde der Viasna-Vorsitzende Ales Bialiatski in einem erfundenen Fall zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt und im Juni 2014 nach 1052 Tagen willkürlicher Haft unter entsetzlichen Bedingungen freigelassen. Als Vergeltung für die mutige Arbeit von Viasna und ihre unnachgiebige Haltung zu den Menschenrechten versuchen die belarussischen Behörden nun auch, die Organisation zu zerstören, indem sie sieben ihrer Mitglieder inhaftieren.
Bemerkenswert ist, dass die Durchsuchungen einen Tag nach der Verabschiedung einer Resolution durch den UN-Menschenrechtsrat begannen, in der die Menschenrechtssituation in Belarus verurteilt und die Freilassung aller willkürlich inhaftierten Personen sowie die Untersuchung aller Fälle von Foltern und anderen Menschenrechtsverletzungen gefordert wurde.
Am 8. und 9. Juli sowie am 16. Juli 2021 führten die Behörden ausserdem Durchsuchungen in den Wohnungen und Büros verschiedener unabhängiger Medien sowie in den Wohnungen ihrer Mitarbeiter durch, darunter auch bei “Nascha Niwa”, einer der ältesten unabhängigen Zeitungen des Landes. Drei Journalisten von “Nascha Niwa” wurden festgenommen. Auch die Büros von Radio Svoboda und Belsat, dem grössten unabhängigen Fernsehsender, der über die Ereignisse in Belarus berichtet, wurden durchsucht, und mehrere Journalisten wurden festgenommen. Derzeit befinden sich mehr als 30 Medienschaffende und Dutzende von Bloggern in Haft.
Wir, die unterzeichnenden Organisationen, verurteilen die massiven Menschenrechtsverletzungen, die von den belarussischen Behörden begangen werden und zu weiterer Gewalt führen können. Die jüngste Repressionswelle und die gewalttätigen Verfolgungen der letzten Monate zeigen, dass die Behörden darauf hinwirken wollen, dass alle Menschenrechtsverteidiger entweder im Gefängnis sitzen oder das Land verlassen müssen.
Wir sind solidarisch mit unseren Kollegen und Freunden, die wegen ihrer mutigen Arbeit inhaftiert, unterdrückt und verfolgt werden. Wir beobachten ihren Kampf mit großer Begeisterung und Bedauern, und wir sind von ihrer Entschlossenheit und ihrem Durchhaltevermögen inspiriert.
Wir fordern, dass die belarussischen Behörden aufhören, diejenigen zu verfolgen und zu bedrohen, die das Regime kritisieren, und alle zu Unrecht inhaftierten Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Aktivisten freilassen.
Wir rufen die internationale Gemeinschaft auf, sich entschlossen für die belarussische Menschenrechtsgemeinschaft einzusetzen und öffentlich die Freilassung aller rechtswidrig Inhaftierten zu verlangen, deren einziges Verbrechen darin besteht, dass sie eine gerechte, nicht auf Angst basierende Gesellschaft fordern.
Der belarussisch-schweizerische Verein RAZAM.CH unterstützt dieses Statement von OMCT.